AMo3 – Brief an Walter Gropius
Toblach, Donnerstag, 18. August 1910
Toblach 18. Aug
Lieber
Schon wiederholt habe ich mich hingesetzt, um Ihnen zu schreiben, — noch bevor ich Ihre lieben Zeilen in Händen hatte, — aber immer wieder fiel mir die Feder aus der Hand, — es ist so furchtbar schwer! Ich soll Ihnen raten, wo ich selber so ratlos bin! —
Eines steht fest[:]
kann vorläufig nicht verlassen, – er würde das nicht überleben. – und können Sie an ein Glück glauben, welches über die Leiche dieses Menschen gieng? –
Eines Menschen von solcher Grösse solcher Güte und solcher Noblesse? Daran ist nicht zu denken! – Ihr könntet unmöglich glücklich werden! Also was tun? Ihr müsst selbst
die Kraft in Euch finden und stark sein! Ihr seid ja Beide noch so jung, Ihrt [!] könnt noch warten! –
Bei meiner Ankunft hier, fand ich und in einem entsetzlichen Zustand, – bleich wie versteinert, – mit starker Herzschwäche, — Zustand können Sie sich ja vorstellen. Zum Glück haben wir hier in der Nähe einen ausgezeichneten Arzt, der mit Hilfe von Digitalis wieder etwas in die Höhe gebracht hat. –
bei ist nicht viel zu machen, – er hat einen starken Herzfehler und es ist ein Wunder, dass ihn die Aufregungen nicht getödtet haben.
Von weiss ich, wie gut und lieb Sie immer über schreiben — ich habe das nicht anders von Ihnen erwartet, — Sie sind so ein zart besaiteter prachtvoller Mensch, — das habe ich bei unserer ersten Begegnung gefühlt, und ich bin glücklich, – dass ich mich nicht getäuscht habe. Bleiben Sie nur so, – stärken Sie , – machen Sie
es Ihr [!] leichter! —
Mit dem Briefschreiben müssen wir es jetzt anders machen, leidet immer so entsetzlich[,] wenn ein Brief von Ihnen kommt, – er selbst übernimmt immer die Post. — Sie dürfen daher nach Toblach auch nicht mehr direkt an mich schreiben, – es ist ein Zufall, dass er gestern Ihre Handschrift nicht erkannt hat. –
Schreiben Sie Sonntags an und Mittwoch poste restante Toblach Frau Anna Hoppe[,]
ich werde es mir dann schon einrichten[,] dass ich allein zur Post komme.
Wie tief ich mit Ihnen und fühle — wie sehr ich mit Ihnen leide, — kann ich nicht sagen, – das müssen Sie fühlen, — raten kann ich Ihnen aber nur Eines — bleiben Sie Beide so stark! —
In Treue
Ihre
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , .
Quellenbeschreibung
2 DBl. (6 b. S.) – Briefpapier mit Wasserzeichen: „Ivory | Trade Mark | Note Paper“.
Beilagen
Umschlag, , – Herrn Walter Gropius | Architekt | Neu Babelsberg | bei Berlin | Stahnsdorferstrasse; PSt. (lt. , S. 531, Nr. 112): TOBL[ACH] [2] | 18 | 8 | 7 # | 10 | c; fremdschr. Datierungsversuch nach Übergabe an : „(1910); rückseitig: „Moll, Anna“.
Druck
, S. 112f., bei Anm. 88 (Auszug), , S. 46, bei Anm. 133 (Auszug), , S. 106f., bei Anm. 111 (Auszüge), , S. 874, bei Anm. 230 (kurzer Auszug in engl. Übersetzung, irrtümlich AM zugewiesen), S. 875, bei Anm. 237 (längerer Auszug in engl. Übersetzung).
Korrespondenzstellen
Antwort auf WG42 vom wahrscheinlich 9. oder 10. August 1910 (lassen Sie uns zusammen beraten): Ich soll Ihnen raten, wo ich selber so ratlos bin! Beantwortet durch WG49 vom 21. oder 22. August 1910 (ja, wir sind noch jung und können noch warten): Ihr seid ja Beide noch so jung, Ihrt [!] könnt noch warten!
Datierung
„‚Toblach 18. Aug‘ 1910“ (, S. 113, Anm. 88 und , S. 46, Anm. 133), „18.8.1910“ (, S. 430, in Anm. 111), „The postmark […] appears to be 14 Aug.“ (, S. 874, Anm. 230, irrtümlich AM19 zugewiesen), „‚Toblach, 18. Aug.‘“ (, S. 875, Anm. 237).
Datiert durch AMo und Poststempel: Toblach 18. Aug[ust] 1910.
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Elke Steinhauser)
Digitalis – pflanzliches Herzstärkungsmittel.